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Mysterium Excrementum

Mysterium Excrementum

Mein Mann und ich sitzen auf unserer kuscheligen Couch und lesen. Es ist kurz vor halb 9 und ich überlege, ob wir noch kurz in den Whirlpool steigen und die Sterne betrachten. Vielleicht gibt es ja heute wieder einen Sternschnuppenregen…

Da klopft es plötzlich an der Tür.

„Wer kann denn das sein?“, frage ich meinen Mann.

Er guckt von seinem Buch auf und zuckt nur mit den Schultern. Er scheint total vertieft in sein Buch zu sein und interessiert sich nicht weiter für unseren unangekündigten Besuch. Seit kurzem hat er es sich in den Kopf gesetzt, einen Teleporter zu erfinden. Wie kommt man von A nach B möglichst schnell und ohne großen Aufwand. Diese Krux möchte er lösen. Eine Beaming-Station sozusagen à la Star Trek.

Ich fresse einen Besen, wenn er das tatsächlich schafft. Andererseits sollte ich meinen Mund nicht so voll nehmen. Vor Jahren hat er bereits einen Materiekonverter gebaut. Der zerlegt Dinge, die wir nicht mehr brauchen – Müll in dem Sinne gibt es ja nicht mehr - in seine atomaren Bestandteile. Dann kann man angeben, was man stattdessen haben möchte, und aus den gespeicherten Atomen wird es gebaut, ähnlich wie bei einem 3D-Drucker. So erhalten wir Werkzeug, Glas oder Papier aus „Müll“.

Rupperts neueste Idee ist da schon etwas komplexer. Es gab endlose Gespräche, ob man Menschen ebenfalls in atomare Bestandteile zerlegen kann, um sie am Wunschort wieder zusammensetzen. Doch dann kam die Frage auf, ob man dann nicht Jehovas komplexe Schöpfung tötet und möglicherweise nur eine Kopie erschafft. Das wollte er natürlich auf keinen Fall und auch in Gesprächen mit anderen kam zum Tragen, dass das nicht der richtige Weg sei. Sie ermutigten ihn jedoch, weiter zu forschen.

Eines Tages waren wir tauchen, richtig weit draußen im Meer. Wir fanden eine Höhle, die einem Tunnel glich und tauchten hindurch. Auf der anderen Seite waren wir in einer ganz anderen Welt. Wo vor dem Eingang der Höhle nur Sandboden und einige Felsen den Meeresgrund bedeckten, sahen wir nun einen regelrechten Garten aus bunten Korallen, Fischen und anderen Pflanzen. Da kam Ruppert plötzlich die Idee: Wurmlöcher.

„Wie wäre es, wenn wir ein künstliches Wurmloch erschaffen?“, teilte er mir aufgeregt seine neuesten Gedanken mit. „So bleibt der Mensch ganz und es ist fast so als würde er einen Aufzug oder Tunnel betreten, der ihn an den gewünschten Ort bringt. Also eine einfache Transportmöglichkeit.“

„Keine schlechte Idee!“, antwortete ich. „Ein kleines Wurmloch zu erzeugen, mag vielleicht noch machbar sein. Ich sehe die größte Schwierigkeit jedoch darin, dass Wurmloch so zu modifizieren, dass es den richtigen Ort ansteuert.“

Also höre ich seit Monaten Begriffe wie Einstein-Rosen-Brücke, Energiedichte und Casimir-Effekte, Gravitationsfeldmanipulation und Raumzeit-Anker. Ich antworte nur noch mit „Hmm“ und „Ah ja“, obwohl ich kaum etwas verstehe. Physik war noch nie meine Stärke, auch mit einem mittlerweile gewissen Maß an Vollkommenheit nicht. Ich interessiere mich zwar für seine Erfindungen, aber nicht für physikalische Gesetze. Das ist mir einfach zu hoch.

Es klopft wieder. Ich löse mich aus meinen Gedanken und gehe zur Tür. Eine Gruppe aus 8 Personen steht vor unserem Haus auf der Terrasse und hat Wein und andere Leckereien in der Hand. Es sind unsere Freunde aus der alten und auch aus der neuen Welt. Ich freue mich!

„Es ist unsere Truppe!“, rufe ich Ruppert ins Wohnzimmer zu.

„Lass sie rein! Ich komme hier gerade eh nicht weiter.“ Er steht auf und holt schon mal die Gläser, während ich die Tür öffne. Nach einer ausschweifenden Begrüßung sitzen wir alle kurzerhand im Whirlpool und trinken gemütlich ein Glas Wein. Nadab hat ihn dieses Jahr zum ersten Mal bei sich angebaut und wir dürfen kosten und bewerten. An sich schmeckt mir der Wein ganz okay, doch ich mag immer noch keinen trockenen Rotwein. Während ich versuche, Nadab mein Urteil milde beizubringen, fängt Mayla plötzlich herzhaft an zu lachen. Wir alle blicken uns um und versuchen den Grund ihrer Erheiterung zu erkunden.

„Was ist denn los?“, fragt Nael, ihr Mann.

„Ich musste gerade an meine Schulzeit denken, circa 10. Klasse muss das gewesen sein. Da gab es einen Jungen, der mich immer geärgert und aufgezogen hat, weil ich eine Zeugin Jehovas war. Den einen Tag hab‘ ich so gebetet, weil es richtig schlimm war. Er machte sich wieder vor allen über Jehova und unseren Glauben lustig. Weil er mich nicht zu Wort kommen ließ, betete ich, solange ich konnte, dass das doch bitte aufhören möge. Nach der Pause wurde er ruhiger und es schien ihm nicht gutzugehen. Er war ganz blass und hatte wohl auch nichts gegessen. Während des Schwimmunterricht sprang er vom 3-Meter-Turm und sollte danach einen Ring aus dem Wasser holen. Das Ganze wurde benotet und wir standen alle in einer Reihe. Ich war nach ihm dran. Kurz bevor ich springen sollte, färbte sich das Wasser um ihn plötzlich braun und ich sah, wie sein Gesicht in Panik geriet. Er fasste sich an seine Hose und hielt diese verzweifelt fest. Er hatte den Durchfall seines Lebens!!!“

Nach dieser bildlichen Beschreibung fangen wir alle an zu lachen.

„Da hat ihn wohl der Braune Blitz getroffen!“, belustigt sich Ruppert.

Ein anderer entgegnet: „Popo-Polka!“ und alle lachen nur noch mehr. Der nächste in unserer Runde gibt „Flotter Otto“ zum Besten und dann geht es reihum. „Hintern-Tsunami“ und auch noch andere Begriffe fallen. Die Einzige, die damit nichts anfangen kann, ist Madeleine.

„Das ist ja schön, dass ihr hier so herzhaft lachen könnt, aber klärt mich doch bitte auf!“

„Was meinst du?“, frage ich sie.

Chrissi geht ein Licht auf. „Sie weiß doch gar nicht, was das ist. Sie hat noch nie Durchfall gehabt, weil sie gerade mal 25 Jahre alt und hier geboren ist, Leute!!!“

„Ahhhh!“, sagen wir alle im Chor.

Ich versuche es ihr zu erklären. „Durchfall konnte eine Erkrankung sein oder wenn man eine Allergie auf ein bestimmtes Lebensmittel hatte. Dann hat man das große Geschäft nicht wie üblich hingekriegt, sondern es kam plötzlich wie ein dünner Brei hinausgeschossen. Im schlimmsten Fall hat es dich in der Öffentlichkeit nicht kalt, sondern braun erwischt. Das war die Königsdisziplin der Peinlichkeit.“

Wir anderen müssen wieder gackern. Madeleine macht hingegen ein erschrockenes Gesicht. „Das ist ja furchtbar!“

„Meiner Arbeitskollegin ist das mal im Supermarkt passiert und die hatte eine weiße Hose an“, gebe ich eine weitere Geschichte zu Besten.

„Oh nein, die Arme! Wie konntet ihr denn so leben?“

„Ach, da gibt es noch viel mehr, was wir dir zu dem Thema erzählen könnten“, wendet Nicole ein.

„Was denn?“, fragt Madeleine neugierig nach.

Fabricia meldet sich zu Wort. „Pass auf! Du hast doch vor kurzem jemanden kennengelernt, richtig?!“ Madeleine nickt.

„Jetzt stell dir vor, dein Traummann lädt dich zum Essen ein und du verträgst wieder eine Sache nicht. Und wenn es nur die Zwiebeln sind, die im Salat waren. Statt eines romantischen Abends, den du genießen möchtest, bläht dein Bauch auf und schmerzt.“

„Was meinst du mit aufblähen? Wie kann denn mein Bauch aufblähen?“, unterbricht Madeleine sie. Wir anderen gucken uns verdattert an, weil wir nicht glauben können, dass sie es nicht versteht. Aber wie soll sie das auch. Ihr Magen-Darm-Trakt hat seit ihrer Geburt immer perfekt funktioniert.

„Na wie ein Heißluftballon. Dein Bauch pumpt sich mit immer mehr Luft auf und wird größer. Ich musste mir so manches Mal den obersten Knopf der Hose öffnen, damit es nicht so spannte“, gibt Fabricia ehrlich zu.

„Und wie ist man die Luft dann wieder losgeworden? Du bist ja wohl kaum abgehoben wie ein Heißluftballon, oder?! Ihr nehmt mich glaub ich auf den Arm!“

„Nein, natürlich nicht. Man musste die Luft loswerden. Aber das ging nicht, weil man es gehört und unangenehm gerochen hätte. Und allein diese Tatsache hat die Beschwerden noch größer gemacht!“, versuche ich zu erklären.

„‘BLÄHUNGEN‘ nannte man das“, antwortet Chrissi und sagt es dabei so langsam als sollte Madeleine es mitschreiben.

„Das hat sogar gestunken?“, fragt sie ganz schüchtern.

„Es war grauenvoll!“, gibt Ruppert mit einem Blick auf mich zu verstehen und alle kriegen sich nicht mehr ein vor Lachen. Umgehend stoße ich ihn leicht mit dem Ellbogen in die Rippen. „Ey!!!“, platzt es aus mir an Ruppert gewandt heraus und dann berichte ich weiter: „Man möchte vor seinem Ehemann ja immer wie eine Prinzessin dastehen. Und wenn er dann die Wahrheit herausbekommen hat, dass das bei seiner Prinzessin nicht nach Rosen duftet, sondern wie bei einem Bauarbeiter, war das doch recht peinlich.“

Madeleine wirkt richtig verstört. „Es tut mir so leid, dass ihr das durchmachen musstet“, gibt sie mitfühlend zu.

„Ruppert konnte manchmal tagelang nicht!“ Das war meine Retourkutsche.

Er nickt und es scheint ihm nicht peinlich zu sein. „Das war im Urlaub immer so.“

Satoshi war bisher ganz still. „Meine Güte, was stellt ihr euch alle an. Ich habe euch nie erzählt, was ich durchmachen musste. Ich hatte einen Stomabeutel.“

Vor Schreck fällt Mayla fast das Weinglas in den Whirlpool. „Oh, das tut mir sehr leid, Satoshi!“

„Hat das auch was mit Kacka zu tun?“, grient Ruppert.

Ich schüttele demonstrativ den Kopf in Richtung meines Mannes.

„Bravo Ruppert!“, sagt Satoshi und applaudiert. „Ich hatte eine chronische Entzündung des Darms und habe irgendwann einen künstlichen Darmausgang bekommen. Mir wurde also ein Loch in den Bauch gemacht, ein Schlauch eingesetzt und dann war daran ein Beutel befestigt, wo dann die Kacka“, er blickt dabei in Rupperts Richtung, „reingelaufen ist.“

„Oh!“, ertönt es aus Madeleines Richtung und sie hält sich vor lauter Schreck die Hand vor den Mund.

„Guck mal Madeleine. Da hat es sich doch gleich gelohnt, mit uns im Whirlpool zu sitzen. Jetzt weißt du wieder, wie gut du es hast, dass du das alles nicht erleben musstest!“ Sie nickt eifrig. „Und wie war das bei dir, Nadab? Du kommst schließlich aus einer ganz anderen Zeit und Kultur?“

„Es ist schon komisch euch zuzuhören. Ihr kennt es nicht anders als mit einem bequemen Badezimmer. Als Israelit in der Wildnis hatten wir ganz andere Probleme. Stellt euch vor, ihr wohnt relativ in der Mitte des Volkes und müsst dann auf die Toilette, wie ihr es nennen würdet. Ich bin oft 20min gegangen, habe mir einen Platz außerhalb des Lagers gesucht, ein Loch gegraben und mich über den Boden gehockt, um meine Notdurft zu verrichten. Wir hatten allerdings damals nicht so viele Hemmungen wie ihr. Zwar war es immer getrennt, die Frauen hatten ihr eigenes Gelände und auch wir Männer haben uns einen Busch, einen Hügel oder eine Senke gesucht. Trotzdem ist es natürlich oft passiert, dass man von einem anderen überrascht oder entdeckt wurde.“

„Ich könnte so gar nicht leben“, stellt Madeleine klar.

„Meine Hoffnung war stets, dass es im Paradies nicht mehr notwendig sein wird, auf die Toilette zu gehen. Das ganze Thema war für mich immer eng mit Unvollkommenheit verknüpft!“, schlage ich nun ernstere Töne an. 

„Und das ekelige Putzen der Toilette... Schön war das nicht“, gibt Nicole mir Recht.

„Ganz genau! Zum Glück wurde eine Toilette erfunden, die mit Schall alles reinigt und auflöst. Kein Toilettenpapier und keine Wasserspülung mehr nötig.“

„Außerdem klappt es bei jedem morgens im Rahmen der Morgentoilette. Man wird im Laufe des Tages nicht damit belästigt, wenn man unterwegs ist. Satoshi, für dich muss es eine noch größere Erleichterung sein, was Jehova für uns getan hat!?“, sagt Nael.

„Na klar! Allein schmerzfrei zu sein und nicht mehr dieses dumme Ding mit mir herumschleppen zu müssen… Ich danke Jehova jeden Tag dafür.“

„Dennoch wäre es schön, wenn der ganze Kram pink wäre statt braun“, werfe ich ein und die Mädels nicken amüsiert.

„Tja, ich dachte, ich könnte mit euch über Quantenmechanik sprechen, stattdessen kommen wir auf dieses Thema! Unglaublich….“, Ruppert zuckt wieder mit den Schultern. Er greift hinter sich und reicht ein Holzbrettchen in die Runde: „Möchte jemand Wurst?“

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